Betriebliche Mitbestimmung Betriebsräte - Gelebte Demokratie

In mitbestimmten Betrieben haben Beschäftigte häufiger das Gefühl, dass sie gemeinsam etwas bewirken können. Auch die Diskussionskultur ist dort offener.

9. März 2025 9. März 2025


Dass Betriebsräte die Interessen der Beschäftigten effek­tiv vertreten, zeigen etliche Studien: Unter anderem bei Lohngleichheit, Beschäftigungsstabilität und Weiterbildung schneiden Betriebe signifikant besser ab, wenn sie mitbe­stimmt sind. Der Ökonom Uwe Jirjahn von der Universität Trier hat gemeinsam mit dem Soziologen Johannes Kiess von der Universität Leipzig untersucht, auf welche Weise Arbeitnehmervertretungen ihren Einfluss ausüben: Indem sie die Beschäftigten laufend demokratisch in die Entschei­dungsfindung einbinden? Oder auf eine eher „autokrati­sche“ Weise, also ohne Rücksprache mit der Basis? Tat­sächlich, so das Ergebnis, ist betriebliche Mitbestimmung auch jenseits der Betriebsratswahlen alle vier Jahre eine de­mokratische Angelegenheit – und trägt dazu bei, dass Be­schäftigte das Gefühl haben, offen diskutieren zu können und kollektiv wirksam zu sein. Besonders stark ausgeprägt sind die Effekte bei Gewerkschaftsmitgliedern.

Mehr kollektive Wirksamkeit, offene Debatten 
Für ihre Analyse haben Jirjahn und Kiess Daten einer Be­fragung von 2022 ausgewertet, die knapp 1300 abhängig Beschäftigte in Ostdeutschland umfasst. Abgefragt wur­de unter anderem die Zustimmung zu drei Aussagen: „Pro­bleme oder Konflikte lassen sich am besten gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen lösen.“ „Mein persönliches Engagement kann Veränderungen bewirken.“ „Ich kann in meinem Betrieb offen und ohne Angst vor Nachteilen über Betriebsräte und Gewerkschaften diskutieren.“ Die Anga­ben der Befragten dienen als Gradmesser für die kollektive Wirksamkeit, die Selbstwirksamkeit und die Offenheit des Diskussionsklimas.

Den Berechnungen zufolge, bei denen Faktoren wie das Geschlecht, das Alter, die Qualifikation oder der beruf­liche Status statistisch berücksichtigt wurden, wirken sich Betriebsräte in diesem Zusammenhang signifikant positiv aus: Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Beschäftig­te kollektive Wirksamkeit empfinden, um 7 Prozentpunkte und die Chance, dass die innerbetriebliche Debatte als of­fen wahrgenommen wird, um 17 Prozentpunkte. Wenn man nur die Gewerkschaftsmitglieder betrachtet, sind es sogar 34 und 45 Prozentpunkte. Außerdem lässt sich bei den or­ganisierten Befragten ein Plus von 25 Prozentpunkten bei der Selbstwirksamkeit nachweisen.

Schule der Demokratie 
Die Ergebnisse ihrer Untersuchung erklären Jirjahn und Kiess mit den institutionellen Bedingungen der betriebli­chen Mitbestimmung. Sprechstunden und Betriebsver­sammlungen stellten sicher, dass Beschäftigte nicht nur bei den Wahlen einen Stimmzettel ankreuzen, sondern regel­mäßig eigene Ideen und Ansichten einbringen und die Ar­beit des Betriebsrats diskutieren können. Gewerkschaften wiederum unterstützen sowohl ihre Mitglieder dabei, sich aktiv einzubringen, als auch Betriebsräte bei ihrer Arbeit.

Alles in allem zeige sich, dass Betriebsräte auch in Ost­deutschland als demokratische Institution gut funktionie­ren. Dass es sowohl mit dem Anteil der mitbestimmten Betriebe als auch mit dem gewerkschaftlichen Organisati­onsgrad seit Jahren tendenziell bergab geht, sei nicht nur f die Qualität der Arbeit eine schlechte Nachricht. Da Er­fahrungen mit gelebter Demokratie am Arbeitsplatz das po­litische Verhalten jenseits der Werkstore beeinflussen, sei es auch mit Blick auf die Gesellschaft insgesamt eine be­denkliche Entwicklung.

Quelle: Uwe Jirjahn, Johannes Kiess: Does Employee Representation Foster Workplace Democracy? Universität Trier, Research Papers in Economics Nr. 13/2024. In: Böckler Impuls · 2/2025 · Seite 4 


Grafiktext (ohne Zahlenangaben!)

Böckler Impuls 2/2025